
Anne Hähnig Herkunft – Als Opfer von Vorurteilen gegenüber Ostdeutschen gelten Menschen, die im Gebiet der DDR, auch Ostdeutschland genannt, geboren oder aufgewachsen sind, in Deutschland leben, dort jedoch struktureller Diskriminierung, Stigmatisierung und herabwürdigender Behandlung ausgesetzt sind .
Die Verunglimpfung einer Person aufgrund ihrer ostdeutschen Herkunft stellt nach mehreren Urteilen deutscher Arbeitsgerichte keine Diskriminierung nach § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes dar. Es gibt einige Debatten darüber, ob Ostdeutsche als ethnische Gruppe betrachtet werden sollten.
Seit den 1990er Jahren wurde in zahlreichen Studien die Unterrepräsentation der Ostdeutschen in der deutschen Elite untersucht. Die Idee, ein Quotensystem einzuführen, wurde mehrfach vorgeschlagen. Empirische Untersuchungen und Umfragen verwenden unterschiedliche Definitionen der ostdeutschen Gruppe, da es vielen Menschen auch nach 30 Jahren Wiedervereinigung immer noch schwerfällt, sich mit ihr zu identifizieren.
Würzburg im Jahr 2009
Nachdem er am Arbeitsplatz von Vorarbeitern in einer Kasernenküche der US-Armee mit abfälligen Schimpfnamen wie „Ostdeutsche Schlampe“ und „Ossi“ beschimpft wurde, reichte ein Koch aus der DDR 2009 Klage beim Arbeitsgericht Würzburg ein. Wegen der NATO Laut Forces Statute verlangte der Mann eine Entschädigung von der Bundesrepublik Deutschland und nicht vom US-Militär.
Das Gericht lehnte die Entschädigungszahlung aus mehreren Gründen ab, unter anderem weil der Name „Ossi“ keine bestimmte ethnische Gruppe bezeichne oder irgendeine Art von Vorurteil gegenüber ostdeutschen Staatsangehörigen darstelle. Der dritte Rechtsexperte Gregor Thüsing legte in seinem ausführlichen Gutachten den Grundstein für die Entscheidung. Als Verweis auf die Antidiskriminierungsbestimmungen im Arbeitsrecht wird häufig der Slogan der Friedlichen Revolution von 1989 „Wir sind ein Volk“ verwendet.
Stuttgart im Jahr 2010
Im Hinblick auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz stellte das Arbeitsgericht Stuttgart 2010 fest, dass Ostdeutsche keine ethnische Gruppe seien. Eine gebürtige Berlinerin aus Lichtenberg, deren Bewerbung an der Stuttgarter Buchhaltungsschule abgelehnt wurde, verlor ihre Klage. Auf dem zurückgesandten Lebenslauf waren handschriftlich ein Negativzeichen und das Wort „Ossi“ zu lesen.
Obwohl das Wort möglicherweise diskriminierend ist, entschied das Arbeitsgericht, dass die Kläger keine ethnische Gruppe im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes darstellten, da sie keine Gemeinsamkeiten in Kultur, Sprache, Religion, Küche oder Kleidung hatten. Auch die ethnische Spaltung, die sich aus der Teilung Deutschlands ergab, war zu kurz. Das Urteil war danach Gegenstand hitziger Debatten.
Der Rechtsexperte Oliver Mörsdorf fand in seiner Analyse des Stuttgarter Urteils breite Unterstützung in der wissenschaftlichen Literatur. Die stärkeren Gründe deuten jedoch auf die Notwendigkeit hin, nach § 1 AGG zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen als eigenständigen ethnischen Gruppierungen zu unterscheiden. Laut Politikwissenschaftler Dan Bednarz zeigt die Entscheidung, dass die deutsche Justiz mit der Stigmatisierung der Ostdeutschen nicht zurechtkam.
Berlin, Jahr 2019
Zu einer ähnlichen Argumentation kam es 2019 in einer Journalistenklage vor dem Arbeitsgericht Berlin. Er hatte gegen sein Unternehmen, eine wöchentlich erscheinende Sonntagszeitung, Klage erhoben, nachdem sich seine Vorgesetzten abfällig über seine Herkunft geäußert hatten. Bei den Redaktionsgesprächen kam es zu abfälligen Bemerkungen über ihn, etwa „dummer Ossi“, und Vergleichen mit der SS. Die Folge waren psychische Erkrankungen.
Der von ihm während des Prozesses hinzugezogene Sachverständige erklärte, dass die Ostdeutschen eine eigenständige ethnische Gruppe seien. Aufgrund des Fehlens einer gemeinsamen Ideologie in der DDR entschied das Gericht, dass die Ostdeutschen keine ethnische Gruppe darstellten, und wies das Verfahren unter Berufung auf das Stuttgarter Urteil ab.
Führung in der Regierung
Hilke Rebenstorf und Wilhelm Bürklin veröffentlichten 1997 die Ergebnisse der „Potsdamer Elitestudie“. Die Studie, die 1995 an der Universität Potsdam durchgeführt wurde, untersuchte die ostdeutsche Vertretung in der deutschen Elite. Sechzig Prozent der Manager der neuen Bundesländer hätten ihre frühe Ausbildung und Sozialisierung in der DDR absolviert, was im Widerspruch zur damals populären „Kolonisierungsthese“ stehe , behauptet Wilhelm Bürklin. Betrachtet man die gesamte deutsche Elite, waren die Ostdeutschen unterrepräsentiert . der elfte
„Dass es in Deutschland einen Kanzler und einen Bundespräsidenten aus der DDR gab, Joachim Gauck und Angela Merkel, konnte nicht über die Unterrepräsentation hinwegtäuschen“, sagte der in Rostock geborene Soziologe Steffen Mau 2012 in der Zeit. Die Tatsache, dass Merkel ihr ostdeutsches Erbe heruntergespielt hat, hat Kritik hervorgerufen .
Als Ostdeutsche war sie mit Vorurteilen konfrontiert und ihre Ansprache zum Tag der Deutschen Einheit 2021 galt als ihre erste öffentliche Offenbarung dieser Tatsache. in In einem Interview im Jahr 2017 sagte der in Leipzig geborene Soziologe Raj Kollmorgen, dass die Biografien von Gauck und Merkel eigenartig seien.
Johanna Wanka gilt als einziger ostdeutscher Politiker, der Minister in einem westdeutschen Bundesland geworden ist. Trotz des Vorschlags von Dietmar Woidke aus dem Jahr 2020 wäre Bundesverfassungsgerichtsrichter Jes Möller der erste ostdeutsche Richter gewesen. Woidke hatte mit seinem Versuch keinen Erfolg. Im Juli desselben Jahres wurde die erste ostdeutsche Verfassungsrichterin, Ines Härtel, gewählt.
Der in Frankfurt/Oder geborene Reporter Christian Bangel stellte 2019 fest, dass viele Politiker, die in Westdeutschland aufgewachsen sind, mittlerweile in Potsdam, Brandenburg, zu Hause sind. Diesen Trend bezeichnete er als „Wossi“-Einfluss in der Bundespolitik. Das Jahr 19. Alexander Gauland von der AfD gehört ebenso dazu wie Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz.
Laut einer vom MDR in Auftrag gegebenen und von der Universität Leipzig durchgeführten Studie aus dem Jahr 2016 waren nur 23 % der ostdeutschen Manager ostdeutscher Abstammung. Ostdeutsche Ministerpräsidenten hatten einen höheren Anteil. Die Zahl der ostdeutschen Staatssekretäre stieg zwar an, der Anteil der Kabinettsposten sank jedoch im Vergleich zum Jahr 2004.
Zwischen 11,8 und 13,3 % in der Justiz und zwischen 3,4 und 5,9 % bei den Vorsitzenden Richtern der Senate und Präsidenten und Vizepräsidenten der obersten Gerichte stieg der Anteil. Im Jahr 2021 bekleidete kein Ostdeutscher das Amt des Staatsoberhauptes in einem der sieben Bundesgebiete in Ostdeutschland.
Im Ampel-Koalitionsvertrag 2021 wurde eine bessere „Vertretung der Ostdeutschen in Führungspositionen und Entscheidungsgremien in allen Bereichen“ vereinbart. Zwei Ministerposten seien die einzigen Posten im Scholz-Kabinett gewesen, die mit Ostdeutschen besetzt seien, heißt es in der Kritik von Denis Huschka aus dem Jahr 2022 in der Berliner Zeitung.
Die in Weimar geborene Verwaltungswissenschaftlerin Sylvia Veit von der Universität Kassel kam in einer Studie aus dem Jahr 2022 zu dem Schluss, dass es unter der Regierung Helmut Kohls unter anderem mehr Ostdeutsche in hohen politischen Ämtern gab als heute.
Finanzsystem
Während im Jahr 2017 rund 17 % der Deutschen aus Ostdeutschland stammten, waren nur 1,7 % aller wichtigen Spitzenpositionen mit Ostdeutschen besetzt. Als „Ostdeutscher“ galt in der Befragung jeder, der vor 1976 geboren und in der DDR sozialisiert wurde.
Aus den neuen Bundesländern wurden keine Vorstandsvorsitzenden ernannt und von 196 Vorständen der DAX-Unternehmen im Jahr 2017 stammten vier aus Ostdeutschland, drei davon waren Frauen. Hiltrud Werner , Hauke Stars , Kathrin Menges und Torsten Jeworrek waren die vier ostdeutschen DAX-Vorstände, die Anfang 2019 unverändert blieben.
Die Medien
Westdeutsche stellen einen größeren Prozentsatz der Redaktionen ostdeutscher Medienunternehmen als Ostdeutsche. Der Verleger des Jahres 2019 war kein geringerer als der ostdeutsche Verleger Christoph Links. Unternehmer Holger Friedrich schrieb 2019 als erster ostdeutscher Zeitungsverleger seit der Wende Geschichte, als er die Berliner Zeitung kaufte.
Laut einer Umfrage des medienkritischen Portals Übermedien lag der Anteil der Ostdeutschen unter den deutschen Fernseh-Talkshow-Gästen im ersten Halbjahr 2020 bei 8,3 Prozent. Nach Untersuchungen der Denkgruppe „Progressives Zentrum“ hatten 15,2 % der eingeladenen Politiker von 2017 bis 2020 eine Biografie mit Bezug zur DDR. Laut einer Ende 2020 durchgeführten Umfrage sind rund 11 % der ehrenamtlichen Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den neuen Bundesländern geboren und aufgewachsen.
Das Magazin Cicero hat die einflussreichsten deutschsprachigen Intellektuellen im Jahr 2019 nach Medienpräsenz, Internetzitierungen und Google Scholar gerankt. Von den Top 100 waren nur fünf Personen mit DDR-Biografie in den Top 100, wobei Liedermacher Wolf Biermann auf Platz 30 kletterte. auf Seite 34Einem Spiegel-Bericht zufolge gab es im Jahr 2019 nur sehr wenige Ostdeutsche, die zur deutschsprachigen Wikipedia beitrugen.
Der Hauptdatensatz umfasste alle Einzelartikel mit einem Geburtsjahr zwischen 1960 und 1999 und einem nachweisbaren Geburtsort innerhalb der Grenzen des heutigen Deutschlands. Im Jahr 2016 stellten Forscher der Universität Leipzig fest, dass nur 23 % der Ostdeutschen Führungspositionen innehatten; Deutlich geringer war sogar der Anteil bei den Hochschulleitungen.
Mit einem Anteil von lediglich 14 % lag der Anteil unter dem Anteil ausländischer Wissenschaftler in den Führungspositionen der größeren ostdeutschen Forschungsinstitute. Keiner der Präsidenten oder Rektoren der 81 Landesuniversitäten war Ostdeutscher. Die Position der ersten ostdeutschen Universitätspräsidentin an der BTU Cottbus wurde 2020 mit Gesine Grande besetzt.
Frühere und gegenwärtige Beiträge ostdeutscher Physikerinnen wurden in einer von ihm im Jahr 2020 durchgeführten Studie detailliert beschriebenTorianerin Heike Amos. Aus Ostdeutschland kamen die ersten beiden Physikprofessorinnen an der Freien Universität und der Technischen Universität Berlin.
Unter der Überschrift „Turn on the Walls“ behauptete der Kulturwissenschaftler Paul Kaiser in einem Artikel der Sächsischen Zeitung 2017, das Dresdner Kunstmuseum Albertinum habe „die kunsthistorische Epoche zwischen 1945 und 1990 aus der Ausstellungssammlung ins Depot entsorgt“.
„Koloniale Einstellungen“, die auf den Wunsch hindeuten, „den Ostdeutschen das Sehen beizubringen“, wurden von den überwiegend westdeutschen Machthabern geäußert. Im Feuilleton kam es im sogenannten „Dresdner Bildstreit“ zu einer zweiten Diskussion über die Präsentation von DDR-Kunst in deutschen Museen. Insgesamt schickte Deutschland von 1990 bis 2021 nur zwei Künstler aus Ostdeutschland zur Kunstbiennale in Venedig
Laut einem Zeit-Artikel aus dem Jahr 2016 mit dem Titel „Die Dynastien des Ostens“ sagten die Autoren Anne Hähnig und Stefan Schirmer, dass ostdeutsche Künstler eine überdurchschnittlich hohe Präsenz in Kino, Fernsehen und Theater hätten. Sie sagen, das liege daran, dass die ausübenden Familien der DDR das Erbe weiterführen konnten. Matthias Schweighöfer, Anna Maria Bother, Cosma Shiva Hagen und Robert Gwisdek gehören zu den berühmten Künstlern, deren Eltern in der DDR berühmt waren.
